Ein ganz normaler Tag. Ich scrolle durch meinen Feed auf LinkedIn. Und verschlucke mich an meinem Kaffee.
Eine Personalberaterin gibt Tipps zu Bewerbungsabsagen.
„Schreibe keine Begründung in die Absage, das könnte ein Aufhänger für eine Diskrimierungsklage sein.“
❌ NEIN ❌
Aber ganz von vorne.
Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Eine Diskrimierungsklage ist eine Klage die einen Verstoß gegen das AGG, das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, zum Vorwurf macht. Das AGG gibt es bereits seit 2006 und hat zum Ziel, dass es „„Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen soll“.
Eine ehrenvolle Aufgabe und Idee, die leider aber seit nunmehr 15 Jahren durch das Gesetz nicht maßgeblich erfüllt wurde.
Schließlich haben wir noch immer die Situation, dass es in Deutschland Unternehmen gibt, die partout keine Frauen ins Management beförden, die Bewerbungen von Menschen mit ausländisch klingendem Namen direkt aussortieren oder bei der Stellenaufnahme der Personalabteilung klipp und klar sagen „Auf die Position will ich einen Mann, aber nicht älter als 50“ und so weiter und so fort.
Was aber hat das AGG denn nun eigentlich genau mit den Absagen zu tun?
Natürlich darf es auch keine Benachteilungen im Personalauswahlprozess geben, ist ja klar. In viele Unternehmen geistert daher seit 2006 der Grundsatz Keine Gründe in die Absagen schreiben, weil sonst könnte man verklagt werden umher.
Und hier beginnt er:
Der große Denkfehler
Solange der Grund ein Sachgrund wie „Sie haben leider nicht die geforderten Kenntnisse in der Beschaffung von Spritzgussteilen aus Südtaiwan“, es sich also nicht um eine diskriminierende Begründung handelt, wird das als Aufhänger für eine Diskriminierungsklage dünnich.
Ich würde sogar eher sagen: Im Gegenteil, vielleicht schafft ein klar benannter Sachgrund ja sogar die Vermutung einer Diskriminierung aus dem Weg. Darauf gehe ich weiter unten ein. Und vielleicht stärkt ein klar benannter Sachgrund ja auch die Verbindung zu den Bewerbenden und schafft einen qualitativen Mehrwert für beide Seiten, Stichwort Talent Pool. Darauf gehe ich in einem separaten Beitrag noch mal ein, das wird hier sonst zu lange. Dann sogar mit Praxisbeispiel.🤓
Weiterhin muss man sagen, dass es in Deutschland so gut wie keine Fälle von wirklich verhandelten Diskrimierungsklagen gibt. Die Fälle, die es gab, liegen schon ein paar Jahre zurück und – wen überrascht es – kamen von Anwälten, bzw. Abmahn-Anwälten.
Wenn man also sehr ehrlich mit sich selbst ist, dann ist das nichts anderes als eine gefühlte Wahrheit, dass das Risiko einer Diskrimierungsklage steigt, wenn man einen Sachgrund in die Absage schreibt. Es handelt sich ja bei den Unternehmen, die so argumentieren nicht um welche, die 10 Jahre lang Gründe reingeschrieben haben und massenweise verklagt wurden. Es wurde nie ein Grund genannt. Aber es wird seit AGG immer fleißig die Panik-Sau durch’s Dorf getrieben, dass man sonst verklagt würde.
Wer Streit sucht, wird Streit finden.
Nicht falsch verstehen: Ja. Natürlich werden Bewerbende, die Streit suchen und ein Unternehmen verklagen wollen, dies immer tun können. Sie werden auch höchstwahrscheinlich immer einen Anwalt / eine Anwältin finden, der/die sie vertritt, auch wenn die Chancen mehr als gering sind.
Aber das grundsätzliche Risiko als Unternehmen verklagt zu werden besteht immer. Da könntet ihr auch sagen, „besser keinen Kaufvertrag abschließen, am Ende können wir dafür noch verklagt werden“. „Besser nicht mit dem Kunden am Telefon sprechen, am Ende wird das noch gegen uns verwendet“
Was für ein Stumpfsinn. 🙄
Im Gegenteil, jetzt kommt meine steile These.
Unternehmen, die keine sachliche Begründung in die Absage schreiben, machen sich in meinen Augen weit mehr angreifbar, als Unternehmen, die eine sachliche Begründung in die Absage schreiben. Klingt verrückt? Na, denk doch mal nach.
Warum sollte ich die Gründe geheimhalten müssen, wenn sie nicht gegen das AGG verstoßen?
Schon mal so herum gedacht? Als Bewerber:in würde ich mich weit schwerer damit tun anzunehmen, dass der faktische Grund „ihnen fehlen die relevanten Kenntnisse im Sourcing von asiatischen Heißklebepistolen“ in Wahrheit eine Diskriminierung darstellt, als wenn ein Unternehmen mir nur schreibt, dass die Stelle bereits mit jmd anderem besetzt wurde (und danach dann aber noch monatelang auf den Jobboards die Anzeige rumrotiert…).
Vielleicht können wir mal anfangen, die Denkweise zu verbreiten, dass ein klar benannter, sachlicher Absagegrund womöglich sogar davor schützen könnte, sich eine Diskriminierungsklage einzuhandeln anstatt immer weiter die Mär zu verbreiten, dass ein Absagegrund die Chancen für eine Diskriminierungsklage erhöht. Denn wenn ich klar weiß, woran es lag, brauche ich mich im stillen Kämmerlein nicht fragen, ob es womöglich mein Geschlecht, mein Kopftuch, mein Alter oder mein Aussehen war.
Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn mit Feedback immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Und wurde noch nie dafür verklagt. Im Gegenteil: Die meisten Bewerber:innen, die von uns Feedback erhalten haben, fühlen sich dadurch wertgeschätzt, fair und menschlich behandelt und behalten uns sehr sehr gut in Erinnerung. Mit einigen bin ich auch heut noch auf LinkedIn in Kontakt und sie bestätigen mir immer wieder, dass die Gespräche, die sie bei Vertrical hatten, zu den besten gehören, die sie je erlebt haben.
Also, liebe Unternehmen: Traut euch endlich, sachliches Feedback zu geben.
Denn ihr könnt NICHT einfach für eine sachliche Begründung deiner Absage verklagt werden. Ihr könnt euch nur einen Diskriminierungsvorwurf gemäß AGG einhandeln, wenn ihr tatsächlich gegen das AGG verstoßen habt. Das hatte dann aber de facto nichts mit einer sachlichen Begründung zu tun. Sondern dann gibt es bei euch eben de facto Diskriminierung. Und das ist ein Problem, dass ihr dringend angehen solltet.
Und liebe Bewerber:innen: Fragt nach Feedback! Und wenn euch jemand sagt, dass man das nicht nennen dürfe, wegen des AGGs, dann werdet hellhörig. Für mich klingt das nämlich so, dass damit implizit zu verstehen gegeben wurde, dass bei der Personalauswahl gegen das AGG verstoßen wurde…
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