Im Oktober 2021 hat Asos einige Maßnahmen eingeführt, die für einigermaßen Aufsehen gesorgt haben.
Unter anderem flexibles Arbeiten und kurzfristige freie Tage für Beschäftigte in den Wechseljahren, 5 Tage bezahlten Urlaub für Mitarbeiterinnen, die sich einer Kinderwunschbehandlung unterziehen, 10 Tage Urlaub für Beschäftigte, die einen Schwangerschaftsverlust, eine Fehlgeburt oder einen Schwangerschaftsabbruch zu verkraften haben und weitere bis zu 6 Wochen bezahlter Urlaub bei weitergehenden gesundheitlichen Problemen, z.B. Krebsbehandlungen und Operationen zur Geschlechtsumwandlung oder bei der Flucht vor häuslicher Gewalt.
Den ganzen Artikel von annodazumal gibt es hier
Vor einigen Tagen kam nun die große Meldung, dass Spaniens Kabinett den Menstruationsurlaub beschlossen hat.
Und wie so oft, sind die gerade auf LinkedIn wieder unglaublich viele Beiträge dazu gepostet worden. Beiträge, von denen viele mal wieder beweisen, dass sich da Menschen zu Personal- und arbeitsrechtlichen Themen äußern, von denen sie augenscheinlich keine Ahnung haben. Da wird direkt bejubelt und drauf los gefordert, wie toll das doch sei und man mal wieder sehen könne, wie Deutschland doch hinterher hinkt.
Aber ist das wirklich so?
In diesem Artikel möchte ich daher einmal zusammen fassen, warum man die Debatte nicht so vereinfacht führen kann, wie es gerade in den sozialen Medien geschieht. Ich möchte derartige Maßnahmen im Praxisbezug deutscher Personalarbeit betrachten, denn das ist notwendig.
Die Maßnahmen und das Gesundheitswesen in UK und Spanien
Vorneweg: Ich finde die Maßnahmen, die Asos oder auch Spanien da ergriffen haben nicht prinzipiell schlecht. Auch wenn ich aus der feministischen Sicht durchaus auch einige Fragezeichen im Kopf habe. hierzu sind in den letzten tagen jedoch schon einige sehr gute Kommentare und Artikel verfasst worden, z.B. hier
Mir geht es daher hier und heute nur darum wie unreflektiert Beifall geklatscht und gleiches auch für Deutschland gefordert wird. In UK und Spanien sind die Maßnahmen eventuell super, allerdings muss man um ein solches Urteil fällen zu können, auch immer die Rahmenbedingungen sehen in denen man sich befindet.
Als UK-basiertes Unternehmen gilt für Asos eine völlig andere arbeitsvertrags- und sozialversicherungsrechtliche Basis als in Deutschland.
Es wird bei Asos mit Urlaub aufgefangen was eigentlich (für mein Verständnis) das Gesundheitssystem tragen sollte. Dessen Entwicklung seit dem Health Service Act der 80er Jahre werde ich hier nicht ausführlich darlegen können.
Ich sehe die Maßnahmen von Asos prinzipiell nicht als irgendetwas, wofür man „Urlaub“ gewähren sollte. Das alles fällt unter den Punkt Arbeitsunfähigkeit. Punkt. Dafür haben wir in Deutschland als eines der wenigen Länder überhaupt -zumindest in der gesetzlichen Krankenversicherung (die im übrigen auch so viel besser ist als ihr Ruf) – eine Lohnfortzahlung von 6 Wochen und anschließend Krankengeld.
Was den Mutterschutz auch nach Fehl und Totgeburten angeht gibt es bei uns Verbesserungspotential, ganz sicher.
In Spanien kennt man eine gesetzliche Lohnfortzahlung für sechs Wochen oder eine gängige Praxis wie bei uns, dass man bei vielen Arbeitgebern auch ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zu drei Tage von der Arbeit fernbleiben darf, nicht.
Und das ist der gesamte Punkt. Deshalb werden diese „Urlaube“ eingeführt.
Aber sind Schmerzen, Trauer und medizinische Behandlung Urlaub?
Wir brauchen keine Menstruations- oder sonstigen Sonderurlaube für „Frauensachen“.
Es hat einen guten Grund, warum es in Deutschland eben Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und nicht Krankmeldung heisst. (Auch wenn fast jeder es doch so nennt)
Ich finde es im Übrigen auch völlig daneben, wenn man (Sonder-)Urlaub nehmen muss, weil man arbeitsunfähig ist. Das ist eine Verballhornung des Begriffs Urlaub. Da habe ich mich früher schon über den sogenannten „Mutterschaftsurlaub“ schon immer aufgeregt.
Schmerzen, Trauer und medizinische Behandlung sind kein Urlaub.
Was ich in Deutschland viel kritischer sehe, ist, dass wir trotz herausragender rechtlicher Rahmenbedingungen immer stärker sehen, dass Beschäftigte es nicht wagen, sich krank zu melden. Aus Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, aus Angst vor irgendwelchen Folgen.
Und weil „krank sein“, insbesondere, wenn es sich um chronische oder psychische Erkrankungen handelt immer noch stigmatisiert und tabuisiert ist.
Das gilt es meiner Ansicht nach zu adressieren.
In einer Welt in der immer mehr Menschen chronisch krank sind, melden sich immer weniger Leute auf der Arbeit krank.
Das ist krank!!!
Es gilt einen Raum zu schaffen, in denen Arbeitsunfähigkeit und Krankheiten stattfinden dürfen. In denen sie kein Makel und erst recht kein Stigma sind.
Ich habe das große Glück, dass ich in Gegenwart meiner männlichen und weiblichen Kolleg:innen über meine Periodenkrämpfe sprechen kann. Ich habe das große Glück, dass meine Kolleg:innen mit mir offen darüber sprechen, dass sie trauern, weil ihre Katze gestorben ist. Und den Tag frei brauchen. Oder dass sie Montags von 10-11 nicht verfügbar für Meetings sind, weil sie da in Therapie gehen.
Jede:r sollte darüber sprechen können, wenn er oder sie arbeitsunfähig ist. Das muss nicht so offen geschehen wie bei uns, ich verstehe vollkommen, dass diese psychologische Sicherheit, die wir bei uns im Unternehmen haben, nicht überall gegeben ist. Aber man sollte sich arbeitsunfähig melden können. Ohne, dass man deshalb Angst haben muss.
Für mich ist das ganze Thema also mehr eine Frage des Raum Schaffens und Haltens und weniger als der Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen auch bei uns wie die im Fall Asos oder Spaniens.
Unsere rechtlichen sowie Sozialversicherungs-Rahmenbedingungen sind nämlich weit besser als in vielen anderen Ländern. Umso bedauerlicher ist es zu sehen, was unsere Arbeitskultur daraus gemacht hat.
Menschen sind keine Ressourcen. ✊
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